
Grebenhain (bl). Niemand hätte wohl besser die derzeitige Situation vieler Städte und Gemeinden des ländlichen Raumes darstellen können als Grebenhains Bürgermeister Sebastian Stang. Insofern geriet sein Grußwort anlässlich des außerordentlichen Unterbezirksparteitages der SPD Vogelsbergkreis am Samstagvormittag auch zu einem Appell an die anwesenden Bundes- und Landespolitiker, ihren Einfluss geltend und sich für eine ausreichende finanzielle Ausstattung stark zu machen. Die mit stehenden Ovationen bedachte Rede des SPD-Landeschefs und stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel tat dann ein Übriges, dass eine Resolution, "wonach der ländliche Raum attraktiv und bezahlbar bleiben muss" und die hessischen Kommunen bedarfsgerecht finanziert werden müssen", von den 77 Delegierten einhellig gebilligt wurde.
Schäfer-Gümbel rief die Genossen dazu auf, künftig "mutiger, lauter und auch aggressiver aufzutreten, um zu zeigen, dass wir in der Tat andere Vorstellungen von einer Gesellschaft haben", die sozial gerechter sein müsse, als sie sich derzeit darstelle. Viele Menschen erwarteten von den Sozialdemokraten Antworten auf die Fragen beispielsweise zur Veränderung der Arbeitswelt, zur Digitalisierung und zur Neuausrichtung der Friedens- und Sicherheitsordnung. Das 2007 entstandene Grundsatzprogramm der SPD stelle sich da in mehrfacher Hinsicht als überholt dar. Eindeutig formulierte er auch, mit wem man sich in erster Linie auseinandersetzen müsse: "Der politische Gegner bleibt die Union", auch wenn er von den Grünen in jüngster Zeit viel über diagonale Karrieren gelernt habe: "Von links unten nach rechts oben!"
Zu Beginn hatte SPD-Unterbezirksvorsitzender Swen Bastian auf die Aktualität der Zusammenkunft verwiesen, denn am kommenden Mittwoch, 5. November, wolle der hessische Finanzminister Thomas Schäfer die Zahlen des dann neu geordneten Kommunalen Finanzausgleichs (KFA) vorstellen. Auch Landrat Manfred Görig (SPD) unterstrich, dass es dann "um die Zukunft des ländlichen Raumes" gehe. Er sei gespannt, so Görig, "wie die Berechnungen sind und wer dann zu den Gewinnern und Verlierern zählen wird". Sollte der Vogelsbergkreis zu den Verlierern gehören, "dann werden wir den Weg zum Staatsgerichtshof gehen, das ist klar". Görig und Schäfer-Gümbel plädierten dafür, bei der Neuordnung des KFA den wichtigen Flächenaspekt nicht außer Acht zu lassen – gerade vor dem Hintergrund der Topographie des Vogelsbergkreises. Massiv kritisierte Hessens SPD-Chef zudem, "dass bislang niemand die sogenannten objektiven Kriterien des veränderten KFA kennt. Dies ist eine der größten Lachnummern, die ich in letzter Zeit erlebt habe."
Schäfer-Gümbel sprach angesichts des 5. November von einer "Weggabelung" und warf der Union vor, die Kommunen untereinander ausspielen zu wollen – gemäß des Mottos "Wer kriegt von dem Wenigen noch etwas mehr?!". Wörtlich sagte er: "Schwarz-Grün bereitet einen Verfassungsbruch vor und hält nicht die Vorgaben des hessischen Staatsgerichtshofes ein, denn die Schuldenbremse sollte nicht auf dem Rücken der Städte und Gemeinden ausgetragen werden." Bereits 2011 sei ein Systembruch begangen worden, als 344 Millionen Euro dem kommunalen Finanzausgleich entzogen worden seien, um Landesprojekte abzusichern. Sein Appell: "Dieser KFA darf nicht Realität werden!"
Breiten Raum nahm auch die Flüchtlingspolitik ein: Auch hier wurden Bund und Land aufgefordert, sich ihrer (finanziellen) Mit-Verantwortung zu stellen und die Kreise, Städte und Gemeinden nicht alleine stehen zu lassen. SPD-Bundestagsabgeordneter Rüdiger Veit betonte, dass Integration und Unterbringung Sache der Kommunen seien, die Finanzierung aber staatliche Aufgabe. Das Land müsse einen entsprechenden Erstattungsbeitrag für die Städte und Gemeinden leisten, so Veit, dessen Eindruck zufolge die Bevölkerung sehr sensibilisiert sei für die Nöte der Flüchtlinge. Insgesamt sei eine "echte Verantwortungsverteilung in Gesamteuropa" ebenso notwendig wie eine solidarische Lösung bei dem Projekt "Operation Mare Nostrum", aus dem Italien aussteigen werde. Viel Lob wurde im Übrigen dem Vogelsbergkreis für dessen Umgang mit den Flüchtlingen zuteil, was den Landrat zu der Erwiderung bewegte, "dass das, was wir hier vor Ort machen, sich sehen lassen kann".
Auch Veits Bundestagskollegin Birgit Kömpel rief dazu auf, die Kommunen bei ihrer Arbeit vor Ort zu unterstützen und übte massive Kritik am Vorgehen des Unternehmens TenneT, die Planungen der Starkstromtrasse "SuedLink" betreffend. "Es ist völlig inakzeptabel, wie TenneT informiert. Es kann nicht sein, dass Politiker und Bürger aus den Medien erfahren, welchen Verlauf die Trasse nehmen soll." Sie könne nicht nachvollziehen, weshalb die ursprüngliche Variante durch Thüringen nicht mehr aktuell sein solle – angeblich, weil diese 100 Kilometer länger sei.
Landrat Görig, der eingehend auch auf den Breitbandausbau und weitere Schwerpunkte der Kreispolitik einging ("Die Koalition auf Kreisebene ist auf einem guten Weg, während die Vorgängerregierung nicht viel bewegt, sondern eher ausgesessen hat"), verwies darauf, dass der Vogelsberg bereits durch die Windenergieanlagen ein Drittel der Lasten der Energiewende zu tragen habe. "Es kann nicht sein, dass wir jetzt auch noch die Starkstromtrasse ertragen sollen. So geht es nicht. Mit uns nicht", unterstrich Görig, der TenneT eine "bedenkliche Entwicklung" bescheinigte.