
Nach dem Bundesparteitag der SPD ist vor den Koalitionsverhandlungen und vor dem Mitgliederentscheid über eine mögliche große Koalition. OZ-Redaktionsleiter Henning Irek fragte beim SPD-Unterbezirksvorsitzenden Swen Bastian nach, welchen Eindruck er in Leipzig von seiner Partei gewonnen hat.
Die Parteiführung wurde bei den Wahlen abgestraft. Schwächt das die SPD in den Koalitionsverhandlungen?
Bastian: SPD-Parteitagsdelegierte sind sehr selbstbewusste Vertreter. Deshalb wundert es mich nicht, dass einige Mitglieder des Bundesvorstands mit schlechten Ergebnissen im Amt bestätigt wurden. Man darf nicht vergessen, dass die SPD bei der Bundestagswahl ihr zweitschlechtestes Ergebnis in der bundesrepublikanischen Geschichte eingefahren hat. Das hat wehgetan. Bemerkenswert ist es, dass Thorsten Schäfer-Gümbel mit dem besten Ergebnis von 88,9 Prozent als Stellvertretender Bundesvorsitzender gewählt wurde. Das freut mich ganz persönlich und ist gut für die hessische SPD. Die Wahlergebnisse der übrigen Vorstandsmitglieder schwächen die Verhandlungsposition der SPD nicht. Im Gegenteil: Es wird deutlich, dass die Union der SPD noch in vielen Punkten entgegen kommen muss, da es von der Basis andernfalls keine Zustimmung für eine große Koalition geben wird. Der Druck auf CDU und CSU ist gewachsen.
Beim Parteitag tauchten neue Forderungen für die Koalitionsverhandlungen auf. Sind diese Maximalforderungen schon der Beginn des Ausstiegs aus der Koalition, bevor sie überhaupt begonnen hat?
Bastian: Nein. Wo wenn nicht in Koalitionsverhandlungen sollte man für die eigenen Positionen streiten? Es ist richtig und wichtig, engagiert und hartnäckig zu verhandeln. Was es bedeutet, wenn man sich nur auf weiche Kompromiss-Linien einigt, hat doch die schwarz-gelbe Koalition abschreckend demonstriert: Kaum ein Tag, an dem sich CDU und FDP nicht öffentlich über die Ausrichtung ihrer Politik gestritten haben, zum Teil deutlich unter der Gürtellinie. Das sollte künftig vermieden werden. Die SPD ist nicht zum Nulltarif als Koalitionspartner zu haben. Das muss auch in den Verhandlungen deutlich werden. Die Partei ist gut beraten nicht den Fehler zu wiederholen, grundlegende Inhalte für einige Regierungsposten aufzugeben. Eine große Koalition wird nur dann zustande kommen können, wenn sich die SPD im Koalitionsvertrag wieder findet. Zum Beispiel mit dem gesetzlichen Mindestlohn, einer existenzsichernden Rente, einer besseren Bildungspolitik, der soliden Finanzierung der Kommunen und einer echten Gleichstellung.
Welche Signale gehen von dem Parteitag aus?
Bastian: Der Parteitag hat deutlich gemacht, dass die SPD mitgestalten will. Das Land wird nicht sozialer und gerechter durch eine Sozialdemokratie auf der Oppositionsbank. Die Lust auf eine Koalition mit der Union hält sich aber in überschaubaren Grenzen. Auch deshalb hat sich die SPD in Leipzig der Linkspartei geöffnet. Das ist ein Epochenwandel, den ich aber für richtig halte. Vorausgesetzt die Linke setzt sich intensiv mit sich selbst und ihrer eigenen Rolle auseinander, kann der Schritt künftig neue Regierungsperspektiven eröffnen.
Die SPD hat in Leipzig begonnen, sich mit der offenkundigen Wahlniederlage vom 22. September auseinanderzusetzen. Das kann nur ein Anfang sein, denn es gibt strukturelle Gründe für das schlechte Abschneiden. Ich halte es für wichtig, dass sich die SPD auf die langen Linien konzentriert. Das gelingt durch eine klare inhaltliche Aufstellung: Unser Markenkern Arbeit, Bildung und soziale Gerechtigkeit muss stark gemacht werden. Die SPD in Hessen hat gezeigt, dass man mit dieser Fokussierung erfolgreich abschneiden kann. Von der Hessen-SPD sollte man sich nun auch in Berlin inspirieren lassen.
Konnte die murrende Basis in Leipzig überzeugt werden, dass sie beim Mitgliederentscheid für einen Koalitionsvertrag stimmen wird?
Bastian: Nein, sicher nicht. Was aber der Tatsache geschuldet ist, dass noch kein fertig verhandelter Koalitionsvertrag vorliegt. Eine abschließende Bewertung ist nur im Gesamtpaket möglich. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht Aufgabe eines Parteitags oder des Vorstands sein sollte, die Basis pro oder contra einer großen Koalition zu überzeugen. Der Mitgliederentscheid auf Bundesebene in dieser Frage ist richtig. Wenn man diesen ernst nimmt, bedeutet das aber auch, dass die Bewertung jedem einzelnen SPD-Mitglied obliegt. Vorfestlegungen wären da falsch.
Unser Fahrplan sieht vor, dass am 27. November der Entwurf des Koalitionsvertrags in Berlin vorgestellt wird. Einen Tag später informiert Sigmar Gabriel die südhessischen SPD-Mitglieder in Hofheim über die Ergebnisse. Alle interessierten Mitglieder aus dem Vogelsbergkreis sind dazu eingeladen. Danach liegt die Entscheidung in den Händen jedes Einzelnen. In unserem Unterbezirk sind das aktuell etwa 1500 Mitglieder. Bis zum 12. Dezember müssen die Abstimmungsunterlagen wieder in Berlin eingegangen sein. Das Votum ist gültig und verbindlich, wenn sich mindestens 20 Prozent aller Parteimitglieder beteiligen. Für die Bildung einer großen Koalition ist die Mitgliederbefragung eine nicht unbedeutende Hürde. Deshalb wird es darauf ankommen, dass der Vertragsinhalt stimmt. Ohne Bewegung auf Seite der Union werden die SPD-Mitglieder kaum ihre Zustimmung zu einer ungeliebten großen Koalition geben.
Erschienen in der Oberhessischen Zeitung und im Lauterbacher Anzeiger vom 23.11.2013.